Samstag, 25. April 2015

DAS SCHULTERGELENK: Articulatio humeri



Gelenkpflege und Ausgleichstraining für zu Hause

von Coach Bernd


Unser Schultergelenk (auch "Glenohumeralgelenk") ist ein Meister der Bewegungsfreiheit. Diese große Freiheit ist jedoch gleichzeitig ein Risiko für Verletzungen, vor allem in schulterdominanten Sportarten wie Klettern, Handball oder Kampfsport. In den meisten Fällen sind orthopädische Erkrankungen der ersten Welt jedoch ausgelöst von Bewegungsmangel: Menschen, die Jahrzehnte im Büro arbeiten und eine alltägliche Fehlhaltung am Schreibtisch einnehmen, provozieren interessanterweise die selben Komplikationen wie Leistungssportler nach jahrelangem einseitigem Training.

Die gute Nachricht: Bei fast allen Problemen mit der Schulter hat man häufig das gleiche Trainings- bzw. Rehabilitationsziel. Die Empfehlungen der Ärzte und Physiotherapeuten fallen ähnlich aus:

Muskuläre Stabilisierung des Oberarmkopfes (Kräftigung von Bizeps, Deltamuskel und Rotatorenmanschette) und eine Verbesserung der Ernährungssituation der aktiven und passiven Strukturen.

Mit diesem kurzen Artikel möchte ich Euch ein paar Tipps bereit stellen, wie ihr Eure Schultern fit und knackig haltet. In erster Linie sprechen wir natürlich Sportler an, aber auch die Schreibtischtäter sind hier an richtiger Stelle. Ich konzentriere mich auf die Muskeln der Rotatorengruppe, da dieses Training vermutlich vielen Menschen nicht aus den normalen Studiopumpereien vermittelt wird. Übungen für den Deltamuskel oder den Bizeps stellen hier vermutlich keine Besonderheit dar.

Bevor es losgeht, muss ich jedem dazu raten, dass er Rücksprache mit behandelnden Ärzten oder Physiotherapeuten unterhält und jede laufende Heilbehandlung abschließt, bevor er sich mit meinen oder irgendwelchen Ratschlägen aus dem Internet selber therapiert. Wenn ihr Euch die Schulter frisch verletzt habt oder Euch chronische Schmerzen plagen, dann geht bitte immer erst mal zum Arzt und lasst die Lage bildgebend checken.



Erst ein wenig Anatomie
Am Schultergelenk finden wir relativ kleine und gelenksnahe Muskeln, welche hauptverantwortlich sind für eine gesunde und flexible Schulter. Am folgenden Foto eines austrainierten Österreichers, kann man sehr schön sehen, wie das Schultergelnk durch seine umgebende Muskulatur "beschützt" wird.


http://withfriendship.com/images/a/331/Arnold-posing.jpg


Der Deltamuskel und die darunterliegenden Rotatoren umgeben unsere Schulter wie ein Schild. Bleibt diese muskuläre Schutzfunktion schwach oder wird chronisch einseitig belastet, entstehen Schmerzen unterschiedlichster Herkunft und eine eingeschränkte Beweglichkeit mit begleitenden Muskelverspannungen. Die Zeichnung unten zeigt links die Anteile des Deltamuskels als äußere "Rüstung" und rechts die darunterliegenden hinteren Rotatoren als Basis einer stabilen Schulter:


http://static.cosmiq.de/data/de/d04/0e/d040e541401d345e8dd681a02b27ab75_1_orig.jpg



Im Inneren zeigt sich das knöcherne Zusammenspiel als relativ fragiler Bewegungskünstler - die eigentliche Gelenkfläche von Oberarm und Schulterpfanne ist sehr klein. Gerade einmal ein Fünftel des Oberarmkopfes hat Kontakt zur Gelenkpfanne:

http://www.2med.biz/tl_files/bilder/schulter/grafik_gesunde_schulter_2.jpg

Entsprechend ist die Stabilisierung primär von der gezeigten Muskulatur zu leisten und so eröffnen sich in diesem komplexen Zusammenspiel mehrere Möglichkeiten für akute Verletzungen (Auskugelung, Riss der Rotatorenmanschette) oder chronische Beschwerden (Arthrose, Impingement-Syndrom, chronische Rotatorenprobleme). Mit ein bisschen Pflege lässt sich hier jedoch einiges tun, um zumindest Überlastungen und Fehlhaltungen auszugleichen und eine ernsthafte und irreversible Erkrankung zu vermeiden.



Die Rotatorenmanschette - Das Fundament

Die Anteile des Deltamuskels sind die äußerste grobe Hülle unserer Schulter und weit seltener von akuten oder chronischen Beschwerden betroffen. Die eigentliche Schwierigkeit entsteht häufig bei den tieferligenden Helferlein:

Die sog. "Manschette" besteht aus vier Muskeln und umfasst den Oberarmkopf primär von vorne, hinten und ein bisschen von oben herab. Zu ihr gehören:

Musculus subscapularis  (Vorne, Innenrotation)
Musculus supraspinatus  (Hinten, Außenrotation)
Musculus infraspinatus   (Hinten, Außenrotation)
Musculus teres major      (Hinten, Außenrotation)
 

Im Folgenden das rechte Schultergelenk, von vorne (anterior) und von hinten (posterior):

https://jessbanda.files.wordpress.com/2009/08/rotators.jpg


Ihr seht hier, wie die Ansätze der Rotatoren direkt am Kopf des Oberarms (Humerus) ansetzen und diesen durch ihre Zugspannung an der Gelenkpfanne fixieren. Eine Verletzung oder chronische Schwächung dieser Muskelgruppe führt zu sehr schmerzhaften Bewegungseinschränkungen und/oder anhaltenden Entzündungen, welche bei jahrelang ausbleibendem Aufbau- oder Ausgleichstraining in der Regel eine Operation notwendig werden lassen.

Ein isoliertes Aufbautraining der Rotatoren ist sehr einfach durchzuführen und kann ohne Geräte zu Hause bewerkstelligt werden. Und so gehts:



dynamisch mit dem Gummiband:

Handflächen nach oben


Zug nach außen



isometrisch mit einem Handtuch:

Zug nach außen



dynamisch und ohne alles, mit Eigenwiderstand:

Der rechte Arm baut Spannung auf
Der linke Arm rotiert nach außen bis "neutral" (nach vorne)












 Bitte beachten:
  • Der rotiernde Arm bleibt am Körper und der Ellbogen liegt auf der seitlichen Bauchmuskulatur.
  • Die Rotation erfolgt immer nur bis oder zu einer neutralen Endposition (Der Arm zeigt gerade nach vorne)
  • Die Wiederholungszahlen sollten bei 15 bis 20 liegen und Muskelversagen ist zu vermeiden (Also kein Hypertrophie- oder Kraftbereich)
  • Außenrotation ist deutlich schwächer als Innenrotation (Falls sich jemand über den Unterschied wundert)

Die Bilder zeigen ein Training der Außenrotatoren (Supraspinatus, Infraspinatus, Teres major). Diese sind für eine gesunde Schulter viel wichtiger und erfordern mehr Aufmerksamkeit. Durch die gängigen Verkürzungen der modernen Sitzkultur sollte man die Vorderseite der Schulter und die Brustmuskulatur eher aufdehnen und nicht durch Krafttraining noch mehr verkürzen. Ein ausgeglichenes Training erfordert jedoch auch hin und wieder Übungen für die Innenrotation, welches genauso easy durch den Eigenwiderstand zu machen ist: Anstatt die Schulter gegen Zug nach Außen zu drehen, muss man hier einfach Druck nach innen aufbauen und die Schulter zur Körpermitte rotieren, also logisch genau das Gegenteil.

Auch die Gummibänder sind einfach an Türklinken oder Heizkörpern anzubringen und erlauben ein Training der Innen- und Außenrotation gleichermaßen. Auch ismoetrische Übungen am Türrahmen oder gegen die Wand sind von Physiotherapeuten oft empfohlen und können bei verletzungsbedingten Einschränkungen der Beweglichkeit wahre Wunder bewirken.

Im Internet findet man sicherlich mittlerweile eine unmenge an Artikeln und Videos. Die gezeigten Übungen sollen Euch nur eine kleine Anleitung für erste Schritte sein und ich bitte um eigene Recherche auf der Suchmaschine Eurer Wahl.



Move it or lose it: Jeden Tag ein bisschen
Die oben erwähnte "Verbesserung der Ernährungssituation" der gelenkumgebenden Muskulatur und des eigentlichen Knorpels, sind ein primäres Ziel jedes Präventions- oder Rehatrainings. Unser äußeres Knorpelgewebe wird nicht aktiv mit Nährstoffen ernährt und kann nur durch Druck und Bewegung ausreichend versorgt werden - man spricht hier von "spongiösem" Gewebe, also schwammartig. Wie so ein Schwamm, saugt sich die Knorpelmasse nur dann effizient mit Flüssigkeit voll, wenn sie Druck von außen erhält. Bewegungsmangel führt also genauso wie einseitige Überlastung zu einem Verlust von Knorpelmasse und schließlich zur Arthrose.  

Ich habe mit den folgenden Methoden selber sehr gute Erfahrung gemacht und meine immer wieder mal schmerzenden Schultern enorm verbessern können. Seit dem ich täglich Übungen zur Gelenkmobilität durchführe und mit meinen leichten Indian Clubs herumschwinge, sind meine chronischen Schmerzen beim Schlafen (Seitenlage) und auch der Muskelkater nach harten Oberkörper-Workouts so gut wie verschwunden. Früher habe ich selber dieses Training als langweiligen Gymnastikquatsch betrachtet und nicht ernst genommen. Das zunehmende Lebensalter und ein etwas angeschlagener Gelenkapparat lassen mich anscheinend zu einem Mindestmaß an Einsicht reifen und ich bin mittlerweile überzeugter Präventions- und Rehaschwinger.

Ein Training mit Clubs in Verbindung mit Joint Mobility erspart Euch auch meistens das gezielte Aufbautraining wie ich es oben gezeigt habe.

Nun genug geschwätzt. Auf gehts...


Joint Mobility
Für eine anhaltende Gesundheit der Gelenke und ihren dazugehörigen Muskelketten, ist es sehr hilfreich, jeden Tag ca. 10 Min. allgemeine Mobilitätsübungen durchzuführen - "Joint Mobility" sagt der angelsächsische Sportsfreund. Hier verbindet man aktive, dynamische Dehnung mit einer "Schmierung" der Gelenke. Eine Faustregel aus dem Rehasport lautet: "Bewegung ohne Belastung" - genau das wird hier recht spielerisch und angenehm erreicht.


Folgendes Video zeigt Teil 3 von Scott Sonnons Joint Mobility Anfängerkurs. Die gesamte Serie ist kostenlos auf Youtube und wird von mir empfohlen:  

 
Auch Steve Maxwell und Pavel Tsatsouline haben ihre Gelenk-Programme und sind ebenfalls empfehlenswert. Wenn ihr Euch die gesamte Serie von Coach Sonnon auf YouTube anschaut, seid ihr aber schon gut beraten. Alles Weitere ist wahrscheinlich schon für beinharte Mobility Fans. Ich vertrete beim Sport fast immer die Meinung "Drill the Basics": Sucht Euch ein minimales Programm, welches alle Muskeln abdeckt und bleibt dabei, so lange es funktioniert.


Indian Clubs
Joint Mobility alleine ist sehr gut, aber die positive Wirkung kann noch einmal verfeinert werden duch die Verwendung von sog. Indian Clubs. Ich mache meine Mobilitysessions ein bis zwei mal am Tag und bin jedes mal zwischen 5 und 15 Minuten beschäftigt. Der Gewinn an Wohlbefinden und Leistungsbereitschaft meiner Schultermuskulatur war unerwartet groß. Auch der geistige Fokus geht bei diesen Übungen ganz gut rund und es hat ein bisschen was meditatives wie Tai Chi oder ähnliches. Die Koordination beim erlernen der Übungen ist auch für Eure Gehirnstrukturen ein gutes Training.

Hier ist ein ganz feines Video zur Einführung:


Die hier vorgestellten Bewegungen mit den Indian Clubs sind ein sehr gutes Programm und mehr braucht man eigentlich nicht zu wissen. Für Anfänger empfehle ich kleine Keulen mit einem Gewicht von maximal 1000 g. Wichtig ist nur, dass Ihr vorsichtig anfangt und erstmal Eure Muskulatur und die Gelenke an die Winkel und Zugkräfte gewöhnt.

Ich bin mittlerweile davon überzeugt, dass es für Griffkraft, Handgelenke, Ellbogen und eben die Schulter kein besseres Training gibt, als das Schwingen mit mehr oder weniger Gewicht. Brustmuskulatur und oberer Rücken werden optimal aktiviert und die Körpermitte kriegt kraftig Arbeit. Ich will es nicht laut sagen, aber ich denke Clubs sind ein Allheilmittel, wenn man defensiv bleibt und sich Zeit lässt.

Ich hoffe, der Artikel ist Euch für Eure eigenen Recherchen ein hilfreicher Ausgangspunkt. Alles, was ich hier beschrieben habe kann aber auch schon genügen, um die Schultergelenke und ihre Verwandschaft sauber zu halten.

Und jetzt bitte abschalten und im Wald rumlatschen...

Beste Grüße

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